Die Kappeler Milchsuppe
Historisch-politische Betrachtung von Dr. David Vogelsanger, Präsident der SVP des Bezirks Affoltern, in Kappel am 27. September 2024.

Lieber Marcel Dettling
Liebe gegenwärtige und ehemalige Parlamentarier
Liebe Parteifreunde aus den Kantonen Zug und Zürich
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger aus dem Säuliamt
Am Anfang gleich ein Bekenntnis: ich bin aus zwei Gründen stolz, heute hier mit Ihnen einen wichtigen Tag unserer Geschichte zu feiern und die Rede unseres Parteipräsidenten mit einer historischen Betrachtung einzuleiten:
Der erste Grund ist Kappel. Wir sind eine kleine Gemeinde, die es nach dem Willen der Bürokraten in Zürich gar nicht mehr geben sollte, aber ein grosser Name in der Geschichte. Dieser Name strahlt in die ganze Schweiz und darüber hinaus bis nach Amerika. Übrigens ist Kappel auch die einzige Gemeinde im Knonauer Amt mit fast 50 % Wähleranteil für unsere Partei.
Der zweite Grund ist genau diese Partei. Sie vereint in sich das Beste aus den beiden Lagern, die sich hier vor fast fünfhundert Jahren gegenüberstanden: zürcherische Nüchternheit und Wirtschaftskraft, den unbändigen Freiheitswillen und Patriotismus der katholischen Innerschweiz, allen voran der Schwyzer, und erst recht der Ybriger, gäll Marcel!
Dies beiden grundlegenden Werte haben zusammen die moderne Schweiz geschaffen, aber auf Umwegen und in schweren inneren Kämpfen. Gesiegt hat aber immer wieder, nach den Mailänder Kriegen, Kappel, Villmergen, dem Bauernkrieg, der Franzosenzeit, dem Sonderbundskrieg, die Vernunft und die Besinnung auf unser gemeinsames eidgenössisches Schicksal. So hat die Schweiz sich bewährt in zwei Weltkriegen und dem Kalten Krieg. So wird sie sich auch gegenüber neuen Gefahren und Bedrohungen wieder bewähren.
Wenn man von Kappel spricht, steht ein Name im Vordergrund. Der von Zwingli, die bis heute bedeutendste Figur der zürcherischen und auch der schweizerischen Geschichte.
Hier in Kappel ist Zwinglis eidgenössische Politik gescheitert, und ein paar hundert Meter von hier ist er bekanntlich auch auf dem Schlachtfeld gestorben.
Noch vor ein oder zwei Generationen wäre es eine heikle Gratwanderung gewesen, an einer zürcherisch-zugerischen Tagung als reformierter Zürcher über Zwingli zu sprechen. Heute ist das zum Glück nicht mehr so. Gerade wir von der SVP haben als erste begriffen, dass es heute um die freie, souveräne, christliche Schweiz geht und dass dabei konfessionelle Gegensätze keine Rolle mehr spielen.
Ich fange nicht mit der Milchsuppe an, sondern mit dem sogenannten Kloster Kappel. Es ist vor über achthundert Jahren von den luzernischen Freiherren von Eschenbach gegründet worden. Dort drüben könnt Ihr die Fahne mit ihrem Wappen sehen. Dreihundert Jahre lang war Kappel tatsächlich auch ein Kloster, aber seit genau fünfhundert Jahren ist es keines mehr. Die Zuger haben das besser begriffen als die Zürcher Wischi-waschi-Kirche. Sie schreiben nämlich in Baar unten auf die Wegweiser «ehemaliges Kloster Kappel». Die Anlage war dann Sitz eines Zürcher Junkers, der im Auftrag der Stadt die Güter verwaltete und die Bauern kujonierte, zeitweise militärische Festung, dann Armenhaus, Zuchthaus und Altersheim. Dank dem Kloster hat unser kleines Dorf anstatt einer Dorfkirche eine kleine gotische Kathedrale, eine der drei oder vier schönsten Zürcher Kirchen. Auch sie ist etwas älter als die Eidgenossenschaft, wurde aber erst etwa zur Zeit von Sempach vollendet.
In dieser Kirche befindet sich übrigens die Grabkapelle der Aargauer Beamtenfamilie Gessler, ein Name, den wir bis heute mit den fremden Richtern und ausländischer Einmischung in unsere Angelegenheiten verbinden. 1932 hat ein junger Grafiker namens Robert Lips, der im Nachbardorf Hausen wohnte, in der Gessler-Kapelle auf dem Wappen den Globi gesehen und brachte ihn zu Generationen von Schweizer Kindern.
1308 wird König Albrecht von Österreich, Erzfeind der Eidgenossen, beim Reussübergang in Windisch von seinem Neffen, dem Herzog Johann von Schwaben, ermordet. Ein Eschenbacher gehörte zu den Mördern. Die Witwe Königin Elisabeth liess nicht nur zu Ehren ihres ermordeten Mannes am Ort der Tat das Kloster Königsfelden errichten, sondern führte einen gnadenlosen, blutigen Rachefeldzug gegen die am Mord beteiligten adligen Familien. Hier in dieser Gegend wird die Schnabelburg auf dem Albis, gerade oberhalb Hausens, und das Städtchen Maschwanden, die beide den Eschenbachern gehörten, dem Erdboden gleichgemacht.
Nach dem Zerfall der habsburgischen Herrschaft in dieser Region in den Jahren nach Morgarten gerät Kappel unter die Herrschaft der Zuger. Die sind ja 1352, ein Jahr nach Zürich, dem eidgenössischen Bund beigetreten. Zug hat damals mit Kappel einen sogenannten Burgrechtsvertrag für politischen und militärischen Beistand abgeschlossen.
Bereits fünfzig Jahre später übernimmt aber die in der Eidgenossenschaft jetzt dominierende Stadt Zürich die Kastvogtei, die Herrschaft über Kappel. Das Kloster und die gesamte Gegend um Kappel werden damit endgültig zürcherisch. Kappel wird, wie es ein Historiker, mein Vater, einmal im Titel eines Büchleins gesagt hat, Zürichs Tor zur Innerschweiz. Tore sind in Kriegszeiten gefährliche Orte. Dreimal wird Kappel von den Innerschweizern geplündert und zerstört, 1443 im alten Zürichkrieg, 1531 am Tag nach der Schlacht von Kappel und noch einmal 1656 im 1. Villmergerkrieg. Übrigens finden 1450 auch die Friedensverhandlungen nach dem Alten Zürichkrieg hier in Kappel statt.
Jetzt aber zur Milchsuppe. Wir alle kennen seit Kindsbeinen das wunderbare Bild von Albert Anker, das im Kunsthaus Zürich hängt und das auf der Einladung zum heutigen Abend figuriert. Die fünförtischen Krieger, also Urner, Schwyzer, Unterwaldner, Luzerner und Zuger, sitzen vor dem Grenzstein auf der einen Seite der hölzernen Mutte, die Zürcher auf der andern, die Harnische, Hellebarden und Morgensterne liegen im Gras, und alle langen mit ihren Löffeln zu.
Als Albert Anker das Bild malte, 1869, war es erst über zwanzig Jahre her, dass im Sonderbundskrieg genau an derselben Grenze, hier zwischen Kappel und Baar, noch einmal Schweizer gegen Schweizer Krieg geführt haben. Anker war damals, 1847, sechzehnjährig. Sicher wollte er mit seinem Bild sagen: jetzt gehören wir endgültig zusammen, in unserem neugeschaffenen Bundestaat.
Aber ist das alles nur patriotische Folklore, nur eine Legende, wie ein Bundespräsident vor einigen Jahren in einer Neujahrsansprache sagte, eine Legende, „die uns ans Herz rührt“?
Nein, Chabis, die Milchsuppe ist gegessen worden, und zwar hier in Kappel.
Was wissen wir genau? Es gibt einen erstklassigen Zeugen, Heinrich Bullinger. Er war der Nachfolger Zwinglis als Antistes, d.h. erster Pfarrer der Zürcher Kirche und während 44 Jahren geistiger Führer Zürichs und des schweizerischen Protestantismus. Bullingers Einfluss reichte bis nach England, Schottland, Ungarn und Polen, indirekt sogar bis ins moderne Amerika. Er war einer der fünf Söhne des katholischen Pfarrers von Bremgarten. Es war damals keineswegs unüblich, dass ein Priester Frau und Kinder hatte. Bullinger wurde während seiner Studienzeit in Deutschland, bevor er Zwingli überhaupt kannte, von der Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Kirche überzeugt. 19jährig wird er Lehrer an der Klosterschule in Kappel und Pfarrer im Nachbardorf Hausen. Er ist einer der engsten Freunde und Mitstreiter Zwinglis und half diesem 1528, die Berner von der Reformation zu überzeugen. Die sechs Jahre in Kappel hat er immer als schönste Zeit seines Lebens bezeichnet.
Bullinger war 1529 noch in Kappel. Ob er die Milchsuppe selber beobachtet hat, wissen wir nicht, aber er kannte den Ort und kannte vor allem viele Leute, die dabei waren. Von ihm stammt die einzige zeitgenössische Beschreibung der Szene:
Uff ein Zyt namend vil dappfferer Gsellen von den fünf Orten ein grosse Mutten mit Milch und stalltens uf die March, in Mitten, schruwend den Zürychern zue, sy habind wol ein guete Milch, aber nüt darin zu brochen. Da luffend redlich Gsellen der Zürychern hinzue, mit Brot, und brocheten yn, und lag yetweder Teyl uff sinem Ertrich, und assend die Milch mitt einanderen. Wenn denn einer über die halb Mutten uss greyff und aass, schlug in der ander Teyl in Schimpff uff die Händ und sagt, fryss uff dinem Ertrych. Und deren Schimpffen giengend ettlich me für, dass do es dem Stattmeister von Strassburg Jacoben Sturmen, der ouch unter den Schidlüthen war, fürkamm, sagt er, Ir Eydgenossen sind wunderbar Lüth, wenn ir schon uneins sind, und vergässend der alten Fründschafft nitt.
Das ist also die Geschichte der Kappeler Milchsuppe. Sie ist schön, sie ist echt, sie ist ohne Zweifel wahr. Aber wir müssen sie einordnen. Das will ich jetzt probieren:
Um was geht es in den sogenannten Kappeler Kriegen? Die Eidgenossenschaft ist damals nicht einfach ein Bund von gleichberechtigten Kantonen. Es gibt die Urkantone, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, die nach Süden blicken, über den Gotthard, nach Mailand, in die Lombardei. Auch nach der Niederlage von Marignano ist der Solddienst ihre wichtigste Einnahmequelle. Ein Soldat in fremden Diensten verdient ein Vielfaches eines Handwerkers oder eines Bauern. Die ausgreifende Reformation der Zürcher bedroht ihren hergebrachten Glauben, ihre freie Lebensart als Bergler, ihre wirtschaftliche Existenz. An ihrer Seite stehen die zwar städtisch regierten, aber gut katholischen Luzerner und Zuger.
Auf der anderen Seite steht das mächtige, reiche Zürich, der eidgenössische Vorort, dem man aber in der Innerschweiz nicht mehr traut, seit es sich im Alten Zürichkrieg mit dem Erzfeind Habsburg-Österreich verbündet hat. Die Zürcher folgen ihrem Zwingli fast bedingungslos, haben den Solddienst verboten und nicht nur die Kirche, sondern auch den Staat von Grund auf erneuert.
Zwingli ist entschlossen, der neuen Lehre in der ganzen Eidgenossenschaft zum Durchbruch zu verhelfen, mit dem freien Wort, mit Überzeugungskraft, wenn nötig aber auch mit Gewalt und mit einer Brotsperre gegen die Miteidgenossen. Heute würde man Wirtschaftssanktionen sagen. Das ganze Land soll zu einem europaweit einzigartigen gottesfürchtigen, demokratischen Staat werden.
Vorsichtiger ist das ebenfalls mächtige Bern. Es hat zwar die Reformation der Zürcher übernommen und sogar gegen die von den Unterwaldnern unterstützten Haslitaler, die sich für ihren alten Glauben wehrten, Gewalt eingesetzt. Einen Krieg gegen die Innerschweiz will es aber vermeiden, denn seine Interessen liegen im Westen, gegen das Waadtland. Auch die anderen Stände verhalten sich zurückhaltend. Sie sind entweder weit ab vom Geschütz wie das altgläubige Freiburg oder die reformierten Städte Basel und Schaffhausen, oder sie sind konfessionell gespalten wie Glarus, Solothurn und Appenzell.
Neben diesen dreizehn eigentlichen Ständen gibt es aber zahlreiche weitere Gebiete, die auch zur Eidgenossenschaft gehören. Die zugewandten Orte haben mindere Rechte, sind aber Eidgenossen. Zu ihnen gehören grosse Gebiete wie Graubünden und das Wallis, die Grafschaften Toggenburg und Neuenburg, die Abteien von St. Gallen und Engelberg, aber auch die Republik Gersau und die Städte Mülhausen im Elsass und Rottweil in Baden.
Die Eidgenossen haben darüber hinaus grosse Gebiete erobert. Diese haben keinerlei Rechte. Die sogenannten Gemeinen Herrschaften werden gemeinsam verwaltet. Zu ihnen gehören Baden, das Freiamt, der Thurgau, die italienischsprechenden Vogteien im heutigen Tessin, das Rheintal, Sargans und andere. Diese Gebiete sind Brennpunkte der Auseinandersetzung. Zürcherische und bernische Vögte versuchen dort, die Reformation durchzudrücken, innerschweizerische Vögte wollen sie verhindern oder rückgängig machen.
Immer wieder kommt es zu Gewalttätigkeiten. Besonders betroffen sind der Thurgau und das Freiamt. Operative Schlüsselstelle sind die Reussübergänge bei Bremgarten und Mellingen, die einzigen Stellen, wo die Berner den Zürchern zu Hilfe kommen könnten, wenn sie dies überhaupt wollten.
Wichtigster Brennpunkt ist zuerst der Thurgau. Nach dem Ittinger Klostersturm werden der zürcherische Untervogt Wirth und sein Sohn, ein Pfarrer, von der Tagsatzung in Baden zum Tod verurteilt und hingerichtet. Zürich betreibt jetzt systematisch eine ausgreifende Bündnispolitik, mit Bern, nach einem Schützenfest in St. Gallen sogar mit Konstanz. 1527 kommt das sogenannte „Christliche Burgrecht“ zustande, ein grosser diplomatischer Erfolg für Zürich, aber als Sonderbund zwischen Zürich, Bern, Schaffhausen, Biel und Mülhausen eine klare Verletzung der eidgenössischen Bündnisse.
Ein schweizerischer Historiker des vorletzten Jahrhunderts, Karl Dändliker, beschreibt, wie diese Abkehr von den eidgenössischen Verpflichtungen zustandekam: Die Frage der Burgrechte schien den Herren Regenten zu heikel, als dass dieselbe dem Gutdünken des „unverständigen“ Volkes vorgelegt würde, und nun kam man für immer von dem löblichen Brauch der Volksanfragen ab. Je mehr sich dann die Geschäfte häuften, je verwickelter die Lage Zürichs und demgemäss die Aufgaben der Politik wurden, umso mehr empfand man das Bedürfnis, den Geschäftsgang zu erleichtern, und dies suchte man so zu erreichen, dass im Geheimen, im Schoss weniger Sachverständiger, die politischen Angelegenheiten geordnet wurden.
Man könnte ja jetzt in diesen Sätzen Zürich durch Bundesbern ersetzen, und schon wären wir im Jahr 2024. Die Kommentierung der aktuellen Politik will ich aber Marcel Dettling überlassen.
Das Christliche Burgrecht wird in der Innerschweiz als Bedrohung empfunden. Der obwaldnerische Landvogt Wirz in Frauenfeld schreibt an seine Regierung, der Thurgau sei jetzt zwischen Ross und Wand gedrückt.
Dieser Ausdruck hat das damalige Gefühl in den fünf Orten sicher gut getroffen. Jetzt verbünden sich die fünf Orte mit dem immerhin gut katholischen Erzfeind Österreich, wie dreihundert Jahre später noch einmal im Sonderbundskrieg. In Waldshut wird im April 1529 dieser Gegensonderbund geschlossen, die „Christliche Vereinigung“ zwischen den fünf Orten und Habsburg.
Jetzt fühlen sich die Zürcher zwischen Ross und Wand gedrückt. Zwingli ist überzeugt, jetzt oder nie müsse man die Schweiz unter dem neuen Glauben einigen, ghaue oder gschtoche. Er beschwört seine eigenen Mitbürger in Zürich und erst recht die zögernden Berner. An den Zürcher Rat richtet er den dringenden Appell: Tuond um Gottswillen etwas Tapfers. Auch das ist ein Satz, der gut in die Schweiz von 2024 passen würde.
In der Innerschweiz wird gespottet, der Grossmünsterpfarrer sei in Zürich Bürgermeister, Rat und Schreiber in einer Person. Man könnte sagen, auch Aussen- und Verteidigungsminister. Er führt sogar die diplomatische Korrespondenz und erteilt den militärischen Verantwortlichen guten Rat, etwa in Bezug auf die Ausrüstung der Truppe mit Feuerwaffen oder die Kriterien für die Auswahl der Kommandanten. Das letzte ist besonders interessant, denn er sagt: Sehe man allweg me Gottsvorcht, Trüw und Wahrheit an weder Kriegskunst. Das heisst, der Charakter eines Kommandanten ist wichtiger als die technische Qualifikation.
Ich erlaube mir jetzt noch einen anderen Abstecher ins Militärische. Wie Sie wissen, war Zwingli in Kappel als Feldprediger, aber nicht erst dort mit den Zürchern, sondern noch als gut katholischer Priester mit seinen Glarnern fast zwanzig Jahre vorher schon in Pavia, Novara und Marignano. Von dort hat er seine Abscheu vor den fremden Diensten mitgebracht, die ein Hauptgrund für die Kappeler Kriege werden sollte. Zwingli war also Feldprediger, wie vor und lange nach ihm unzählige katholische Priester und reformierte Pfarrer bei den eidgenössischen Truppen, während mindestens sechshundert Jahren. Es brauchte die verunglückten Armeereformen der letzten Jahre und die Sucht der Berner Militärbürokratie, es in allem dem Ausland gleichtun zu wollen, um diesen schönen Schweizer Namen durch den seelen- und blutlosen Beamtenbegriff «Armeeseelsorger» zu ersetzen.
Jetzt, wir kehren in den Frühling des Jahres 1529 zurück, kommt der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Am 29. Mai verbrennen die Schwyzer vor ihrem Rathaus den Pfarrer des zürcherischen Schwerzenbach Jakob Kaiser, der ihnen in die Hände gefallen ist, ein enger Freund Zwinglis. Am 4. Juni beschliesst Zürich den Krieg. Schon am Tag darauf verhindern Zürcher Truppen in Bremgarten den Amtsantritt des neuen Unterwaldner Landvogts. Die Zürcher erobern in wenigen Tagen den ganzen Thurgau, das Rheintal und die Fürstabtei St. Gallen. Zusammen mit den Toggenburgern will man in die schwyzerische March und das Gasterland einrücken, aber der Truppe wird schon in Uznach der Rückzug nach Rapperswil befohlen, um die Kräfte nicht zu verzetteln. Unterdessen ist das Zürcher Hauptbanner in Kappel eingetroffen. Zwingli möchte jetzt den entscheidenden Schlag gegen Zug und Luzern führen. Er droht andernfalls mit seinem Rücktritt. Die Regierung zögert, vor allem weil man sich in Zürich der Unterstützung der Berner nicht sicher ist.
Auch in der Innerschweiz ist die Erbitterung gross. An der Hofkirche in Luzern wirkt der Elsässer Franziskanermönch Thomas Murner als Kriegstreiber. Er schreibt einem Freund in Strassburg: Wir sind jetzt handfester, denn unser Lebtag nie. Wir geben nicht einen Pfifferling um die Berner und Zürcher, die evangelischen Sackpfeifer. Gott wird uns nicht verlassen. Es ist kein erschrockener Mann unter uns. Das Blut im Leibe wallet ihnen wider die ungläubige Schelmerei; beim allmächtigen Gott, die Weiber sind noch zorniger als die Männer. Wohl, die Glocke ist gegossen, wir werden sie bald läuten, dass der Ton erschallen soll. Wir wollen den Glauben bald miteinander deuten mit langen Spiessen und guten Hellebarden, wenn sie nicht anders wollen.
Die Glocken läuten, aber es kommt zum Wunder von Kappel. Die Hellebarden kommen diesmal noch nicht zum Einsatz. Das fünförtische Herr rückt zwar bis an die heutige Kantonsgrenze vor, ein paar hundert Meter von hier. Die eidgenössischen Vermittler, darunter auch der von Bullinger erwähnte Sturm aus Strassburg, bringen in letzter Minute einen Waffenstillstand zustande.
Der hochangesehene Landammann Aebli aus Glarus, ein Reformierter, beschwört unter Tränen die Zürcher Hauptleute, das Elend eines Bürgerkriegs zu vermeiden. Und sie hören auf ihn. Am 26. Juni 1529 wird der Erste Kappeler Landfrieden geschlossen. Dieser begünstigt zwar die reformierte Seite, denn er bringt die freie Wahl der Konfession für die eidgenössischen Stände, die freie Wahl für die Gemeinden in den Gemeinen Herrschaften, Einschränkungen des Solddienstes, die Auflösung des Sonderbundes mit Österreich sowie die volle Übernahme aller Kriegskosten durch die Fünf Orte.
Zwingli begreift aber sofort, dass es ein fauler Friede ist. Er ruft dem Glarner Landammann Aebli zu, dem Vermittler, dessen Kind er Götti ist: Gevatter Ammann, du wirst vor Gott Rechenschaft geben müssen. Weil die Feinde im Sack und ungerüstet sind, geben sie gute Worte. Du glaubst ihnen und scheidest (=schlichtest). Hernach aber, wenn sie gerüstet sind, werden sie unser nicht schonen, und dann wird auch niemand scheiden.
Wie wir alle wissen, kommt es zwei Jahre später tatsächlich, wieder hier an der Grenze zwischen Zürich und Zug, zum Krieg und zum endgültigen Scheitern von Zwinglis Politik. In Kappel, einen halben Kilometer nördlich von hier, fällt am 11. Oktober 1531 die erste Entscheidung zuungunsten der Zürcher, vierzehn Tage auf dem Gubel bei Menzingen die endgültige. In Kappel findet auch Zwingli den Tod auf dem Schlachtfeld. Nach damaligem schlechtem Brauch wird der verwundete Reformator, der tapfer gekämpft hatte, von einem Hauptmann Juckinger aus Unterwalden getötet und sein Leib verbrannt. Der alte Zuger Kaplan Hans Schönbrunner soll aber vor Zwinglis Leiche ausgerufen haben: Wie Du auch des Glaubens halber gewesen, so weiss ich, dass Du ein guter Eidgenoss gewesen bist.
Das wäre jetzt ein guter Schluss, denn dem braven Kaplan Schönbrunner könnten wir sicher alle zustimmen. Wir, denen die konfessionellen Leidenschaften jener Zeit sehr fernliegen, aber die Treue zu dieser Eidgenossenschaft sehr nahe.
Sie wollen aber sicher alle noch wissen, wo die Milchsuppe gegessen worden ist. Mit absoluter Sicherheit kann ich das auch nicht sagen. Ich bin aber überzeugt, dass es nicht dort war, wo in Ebertswil oben der Milchsuppenstein steht und wo wir vor zwanzig Jahren eine Rede unseres Bundesrates Christoph Blocher gehört haben. Dieser Ort würde überhaupt keinen Sinn machen. Es gab damals dort oben keine wichtige Strasse und keinen Grund, weshalb Zürcher und Fünförtische ausgerechnet an dieser Stelle hätten ihre Truppen aufmarschieren lassen. Man hat seinerzeit für das Denkmal einfach den schönen Aussichtspunkt ausgelesen.
Die entscheidende Stelle an der Grenze war in all den Auseinandersetzungen um Kappel immer der Islisberg, der bewaldete Hügel keinen Kilometer südwestlich von hier. Südlich und östlich um den Islisberg lag die Landstrasse von Zug nach Kappel und über den Albispass nach Zürich. Da marschierten die fünförtischen Truppen auch am 11. Oktober 1531 auf. Heute ist an dieser Stelle nur noch ein Wanderweg. In unserem Dorf sagt man, vor bald hundert Jahren hätte man den Gedenkstein für die Milchsuppe schon am Fuss des Islisberg errichten wollen, in einer kleinen Mulde, in der der Ueberlieferung nach die Milchsuppe gegessen wurde. Der betreffende Bauer hätte das Stücklein Land nicht hergeben wollen. Wie dem auch sei, ich bin überzeugt, dass die Milchsuppe gegessen worden ist, und zwar am Islisberg.
Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen gemütlichen freundeidgenössischen Abend. Vergässend der alten Fründschaft nit.