Die EGMR-Richter haben dem Kanton Zug keinerlei gesetzgeberische Vorgaben zu machen
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat jüngst im Fall der sog. Klimaseniorinnen in einem beinahe 300-seitigen Urteil entschieden, dass die Schweiz unter anderem gegen Artikel 8 der EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) verstossen habe.

An der Kantonsratssitzung vom 20. Februar 2025 wurde die Interpellation der Alternative – die Grünen (ALG) betreffend «Auswirkungen des Urteils des EGMR und den Schutz der älteren Bevölkerung vor den Auswirkungen der Klimaerhitzung» behandelt. In der Interpellation haben die Interpellanten dem Zuger Regierungsrat vor dem Hintergrund des EGMR-Urteils verschiedene Fragen zur Umsetzung der Energie- und Klimastrategie im Kanton Zug gestellt.
Die EMRK ist aus dem Gedanken heraus entstanden, die individuellen Rechte gegenüber staatlicher Willkür und staatlichen Gräueltaten zu schützen. Dieser hehre Gedanke führt zurück auf die französische Revolution und ihren Ideen der unveräusserlichen Menschenrechte sowie auf die beispielsweise im Zweiten Weltkrieg gemachten Erfahrungen, die für alle Zeit der Vergangenheit angehören sollten.
Wie lief damals der Beitritt der Schweiz zur EMRK ab? Der schweizerische Bundesrat beantragte am 4. März 1974 dem Parlament, der EMRK beizutreten. Viele der damaligen Mitglieder des Bundesparlaments verlangten eine Volksabstimmung mit der Begründung, die Konvention würde die Rechtsordnung tiefgreifend verändern.
Der Bundesrat sah aber von einer Abstimmung ab mit dem Argument, die Bundesverfassung bilde die Rechte der EMRK bereits grösstenteils ab. Er verzichtete auch auf das fakultative Staatsvertragsreferendum, da die Konvention jederzeit gekündigt werden könne. Mit dem Beitritt zum Europarat habe die Schweiz klar gemacht, dass sie an dessen politischen und rechtlichen Traditionen teilhaben wolle. Es sei unvorstellbar, sagte damals Bundesrat Pierre Graber, dass die Schweiz mit ihren hohen Standards wegen Verletzung von Menschenrechten jemals verurteilt werde. Am 28. November 1974 ist die Schweiz schliesslich gestützt auf diese Argumentation ohne Volksabstimmung der EMRK beigetreten.
Nun hat der EGMR im Fall der sog. Klimaseniorinnen die Schweiz wie anfangs erwähnt wegen Verletzung gegen Artikel 8 der EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) verurteilt. Begründet wird dies damit, dass die Schweiz ihre Schutzpflicht in Bezug auf den Klimawandel nicht ausreichend wahrgenommen habe. Der Gerichtshof argumentiert, der Klimawandel stelle eine ernsthafte Bedrohung für die durch die Konvention gewährleisteten Rechte dar. Der Staat habe deshalb die Pflicht, Massnahmen zu ergreifen, um die Risiken zu minimieren.
Das klassische Verständnis der Menschenrechte als Abwehrrechte gegenüber dem Staat, als Freiheitsrechte, wird mit einer solchen Rechtsprechung von ein paar wenigen Richterinnen und Richtern in Strassburg völlig pervertiert. Plötzlich verlangt die Justiz unter dem Titel der Menschenrechte von der Politik spezifische Leistungs-Massnahmen. Menschenrechte werden nicht mehr nur als Abwehrrechte gegenüber Eingriffen des Staates in individuelle Rechte verstanden, sondern als Anspruch auf risikomindernde Massnahmen gegenüber der Politik. Die EGMR-Richter spielen sich damit als gesetzgebende Gewalt der Staaten auf und verletzen damit das Prinzip der Gewaltenteilung.
Dazu kommt, dass wenn der EGMR den Klimawandel als eine Menschenrechtsverletzung betrachtet, sich die Frage stellt, wo die Grenze gezogen werden soll. Denn der Klimawandel ist bei weitem nicht das einzige Risiko für Leben und Gesundheit von Menschen und vor allem für Seniorinnen und Senioren. So fordern etwa auch Suchtmittel jährlich hunderttausende Todesopfer oder bergen Industrieunfälle oder chemische Anlagen enorme Gefahren für Leib und Leben. All diese Risiken bedrohen das Leben und die Gesundheit in ebenso gravierender Weise wie der Klimawandel. Wenn also der Staat eine menschenrechtliche Schutzpflicht für das Klima hat, müsste er konsequenterweise auch verpflichtet sein, gegen all diese anderen Gefahren umfassend vorzugehen. Das wäre ein Fass ohne Boden.
Das Beispiel der Klimaseniorinnen zeigt, dass die EGMR-Richter aus politischem Aktivismus heraus bereit sind, rechtsstaatliche Prinzipien gänzlich hinter sich zu lassen. Sie treten auf eine Klage eines Vereins ein und schaffen damit eine im hiesigen Recht nicht vorgesehene Verbandsbeschwerde. Sie leiten aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens fernab jeglicher rechtlicher Grundlage oder demokratischer Legitimation zahlreiche positive Leistungsrechte des Staates zur Minimierung eines Risikos ab. Mit Menschenrechten hat dies rein gar nichts mehr zu tun. Es ist eine reine Politik, die von wenigen Richtern in Strassburg ohne jegliche demokratische Legitimation betrieben wird.
Dieses Urteil des EGMR kann und darf somit keine Folgen haben, weder für die Schweiz, noch für den Kanton Zug. Die Antwort des Regierungsrats auf die Interpellation, wonach «derzeit noch eingehend geprüft» werde, wie der Bund mit dem Urteil des EGMR umgehen wird und was das für die Kantone bedeute, ist daher nicht wirklich nachvollziehbar. Die SVP-Fraktion fordert den Regierungsrat auf, sämtliche eingehenden Prüfungen in diesem Fall umgehend abzubrechen und zu unterlassen. Solche eingehenden Prüfungen sind nämlich eine reine Steuergeldverschwendung. Es gibt hier nämlich nichts zu prüfen, da die EGMR-Richter dem Kanton Zug keinerlei gesetzgeberische Vorgaben zu machen haben.
Der Interpellantin ALG bleibt zu empfehlen, dass sie die in der Schweiz ausreichend verfügbaren politischen Instrumente wahrnimmt und ihre Anliegen über den ordentlichen politisch-demokratischen Weg und nicht über fremde Richter einbringt.
Livio Bundi, Steinhausen
Kantonsrat

